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Sonntag, 17. Juli 2011

Barrierefreier Alltag?

5:30 Uhr: Lilo schläft auf ihrem Bett und träumt ganz fest und tief. Der Wecker klingelt und klingelt die ganze Zeit, nach 5 Minuten hört es auf zu klingeln. Lilo schläft weiter…

6:15 Uhr: Lilo ist durch Alptraum wachgeworden und erschreckt sich und denkt „wieviel Uhr haben wir jetzt? Oh Gott, habe ich verschlafen?“. Sie blickt kurz auf die Uhr und springt sofort aus dem Bett. Sie macht ihren Kleiderschrank auf und grübelt nach, was sie heute anziehen soll. „Ich ziehe mir lieber was Bequemens an: ein Jeans, ein Poloshirt!“.  Sie rennt schnell ins Bad, duschen, Zähne putzen, Haare föhnen, schminken, holt sich ihre Arbeitstasche und einen Müsliriegel für ein schnelles Frühstück und verlässt das Haus.

7:10 Uhr: Endlich ist Lilo am Hauptbahnhof angekommen und wartet auf die S-Bahn, die sie zum Arbeitsplatz bringt. Sie beobachtet die Fahrgäste, viele haben Coffee-to-go-Becher in der Hand, und rennt durch die Menschenmenge, um schnell ein Zug erreichen zu können. Gerade wurde per Durchsage informiert: „Sehr geehrte Damen und Herren, S-Bahn S2 fährt heute Morgen aufgrund Bauarbeit nicht. Bitte nehmen Sie Ersatzschienenverkehr-Bus Nr. 21, der am Busbahnhof steht und alle 20 Minuten fährt. Vielen Dank für Ihr Verständnis:“ Einige Fahrgäste verlassen das Gleis, da wo Lilo auf ihre S-Bahn wartet. Sie beobachtet die Situation und merkt, dass etwas nicht stimmt.

7:30 Uhr: Lilo versucht, Fahrgäste anzusprechen und deutet an, was mit S2 ist. Ein Fahrgast hat sie für dumm gehalten und ist einfach weitergegangen. Sie versucht sich an andere Fahrgast zu wenden, einer sagt: “Die S-Bahn kommt nicht. Bus – da!“. Lilo bedankt sich und rennt schnell zum Busbahnhof und hat es knapp geschafft.

7:55 Uhr: Sie geht zu Fuß zum Firma, hinter ihr drängelt ein ungeduldiger Fahrradfahrer und will an ihr vorbeifahren. Er klingelte mehrmals und zeigte ihr einen Vogel, als er vorbeigefahren ist. Lilo erschreckt sich, denn sie ist taub.

8:00 Uhr: Endlich ist Lilo am Arbeitsplatz angekommen. An ihrem Schreibtisch wartet eine Menge Arbeit auf sie. Sie legt ihre Sachen ab und fährt ihren PC hoch und besorgt sich nebenbei einen Kaffee. Zurück am Platz gestaltet sie einen Flyer für eine Wohlfahrtstätigkeit. Sie konzentriert auf ihre Arbeit, als ihr Chef an ihr von hinten vorbeikommt und sie erschreckt sich, weil sie es nicht gemerkt hat. Er sagt ihr, dass um 9:00 Uhr eine Besprechung im Raum 2003 stattfinden wird.

9:00 Uhr: Die Besprechung fängt an und Lilo versucht ganze Zeit von den Lippen abzusehen, jedoch ist es sehr mühsam. Denn 10 Teilnehmer reden durcheinander und viele Fachbegriffe, die schwer zu verstehen ist. Irgendwann gibt Lilo auf, sich darauf zu konzentrieren und wartet nur darauf, dass es endlich fertig ist.

9:30 Uhr: Lilo kehrt wieder an ihrem Arbeitsplatz und arbeitet an ihren Flyern weiter. Neben an, an ihrem Arbeitsplatz klingelt ein Telefon…

12:00 Uhr: Die Kollegen fragen Lilo, ob sie mit zur Kantine gehen möchte. Sie bejaht und geht mit. Die Kollegen reden durcheinander und lachten während Lilo nachdenklich mitgeht. In der Kantine hat sie sich für Spaghetti Bolognese mit Parmesan entschieden und setzt sich mit ihre Kollegen zusammen an einem Tisch. Nach 15 Minuten merken Kollegen, dass Lilo auch da ist und ein Kollege fragt sie, ob ihr das Essen geschmeckt hat.

12:45 Uhr: Mittagspause ist um und Lilo arbeitet weiter, bis zu dem Zeitpunkt, als sie merkt, dass  etwas geschehen muss. Unruhe und Spannung im Büro. Sie wollte sich da nicht einmischen und arbeitet einfach weiter.

15:00 Uhr: Ihre Entwürfe für einen Flyer für Wohlfahrtstätigkeit sind fertig und schicken sie per E-Mail an Kunde. Sie geht zum Chef und fragt nach einem neuen Auftrag. Er gibt ihr den Auftrag: eine Einladung zu einem Musical gestalten.

16:00 Uhr: Sie hat einen Arzttermin und muss mit ihre Arbeit beenden, so sagt sie ihre Kollegin Bescheid und verabschiedet sich per Handwinken.

16:15 Uhr: Lilo steht vor der Rezeption beim Hausarzt und wartet auf eine Arzthelferin, um sich anzumelden. Die Arzthelferin durchstöbert gerade die Patientenakten und spricht mit Lilo, ohne dass sie ihre Lippen sehen kann. Die Arzthelferin dachte erst, dass es unverschämt ist, dass sie nicht drauf reagiert hat. Lilo zeigte ihr, dass sie taub ist und sie war dann verwirrt. Lilo legt ihre Krankenkasse-Chipkarte und Praxisgebühr 10€ vor und sie wurde aufgefordert, im Wartezimmer zu warten. Die Arzthelferin notiert in ihrer Akte „taubstumm“.

16:25 Uhr: Sie liest eine Zeitschrift und ist in der Reportage von Aussterben der Eisbären vertieft. Durchsage: „Frau Lilo Kirsch, bitte gehen Sie ins Behandlungszimmer 3“. Nach ein paar Sekunden wieder: „Frau Lilo Kirsch, bitte gehen Sie ins Behandlungszimmer 3“. Lilo merkt, dass sie von anderen Patienten angeschaut wird und sie legt die Zeitschrift ab und geht vorsichtig zu Rezeption und fragt nach, ob man sie gerade aufgerufen hat und falls ja, in welches Zimmer sie gehen soll.

16:35 Uhr: Der Arzt, der ein Vollbart hat, kommt ins Behandlungszimmer und begrüßt Lilo und fragt nach, was ihr fehlt. Lilo kann aufgrund seines Barts schwierig von den Lippen abzusehen und bittet ihn, mit dem Papier und Schrift zu kommunizieren. Er stellt Papier und Stift bereit. Lilo schreibt, dass sie in nächster Zeit nach Südafrika fliegen wird und sich untersuchen und beraten lassen möchte, zum Thema Tropenkrankheit. Er schaut verwundert und fragt sich, wie sie alleine in ein fremdes Land reisen kann und berät sie bis zum Schluss. Sie bekommt am Schluss ein Rezept, mit dem sie zur Apotheke geht.

16:50 Uhr: Es regnet draußen so stark und Lilo holt ihre Regenjacke aus der  Tasche heraus und rennt schnell bis zum Apotheke. Dort angekommen tut sie ihrer Kapuze herunter und gibt der Apothekerin das Rezept. Sie holt die Medikamente für ihre Reisevorbereitung aus der Schublade und erklärt ihr, wann sie wie viel an einem Tag einnehmen muss. Sie zeigt ihr eine Gebärde, dass sie das auf Medikamente notieren soll. Sie notiert es und zeigt ihr den Betrag per Kassenanzeige und Lilo zahlt, verabschiedet sich und geht.

17:30 Uhr: Nach einem langen stressigen Tag ist Lilo endlich zu Hause angekommen. Sie holt ihre Post ab und war empört, als sie den GEZ-Brief entdeckt. Sie öffnet den Brief sofort und liest, dass sie die GEZ-Gebühren innerhalb von 14 Tage zahlen muss. Genervt legt sie den Brief auf ihrem Schreibtisch und setzt sich vor den PC und schreibt erneut einen Brief an die GEZ, in dem sie erklärt, dass sie taub ist und vor einem Monat bereits eine Schreiben mitsamt Kopie ihres Schwerbehindertenausweises mit Merkzeichen „RF“ (=Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) geschickt hat und erklärt hiermit noch einmal, dass sie taub ist und ein Merkzeichen in ihrem Schwerbehindertenausweis besitzt und die GEZ-Gebühren nicht bezahlen wird. Sie druckt es schnell aus, faltet es zusammen, steckt es in den Briefumschlag. Sie ruht sich dann aus und macht ein Nickerchen.

18:20 Uhr: Ihr Mann kommt nach Hause und gibt ihr einen Kuss und fragt, wie ihr Tag war. Sie unterhalten sich über ihren Tag in Gebärdensprache beim gemeinsamen Abendessen

20:00 Uhr: Fast jeder guckt jeden Abend Tagesschau, Lilo und ihr Mann gucken es auch mit Untertitel an. Als Tagesschau ein Beitrag über Tsunami in Asien zeigt, steht es dann beim Untertitel: „Aufgrund einer Liveübertragung konnten die Untertitel leider nicht vorbereitet werden“. Empört und enttäuschend gucken Lilo und ihr Mann weiter Tagesschau.

22:00 Uhr: Müde gehen Lilo und ihr Mann gemeinsam ins Bett.

Sieht der Alltag so aus? Was denkt ihr dazu? Auf eure Kommentare würde ich mich freuen. Meine Antwort werdet ihr im nächsten Eintrag lesen.

Zur Info: Die Personen und Handlung sind alle frei erfunden.